Wie die Sonnenblume ihren Namen fand
In einem fernen Land, wo die Wiesen sich endlos bis zum Horizont erstreckten und die Luft vom Summen der Bienen und dem Zwitschern der Vögel erfüllt war, lebte eine junge Blume, die noch keinen Namen hatte. Ihre Blütenblätter waren klein und unscheinbar, kaum jemand beachtete sie. Doch sie hatte einen Traum – sie wollte die hellste und schönste Blume der ganzen Welt werden.
Diese Blume wuchs auf einer Wiese nahe dem Wald, wo viele Tiere und andere Pflanzen lebten. Jede von ihnen trug stolz ihren eigenen Namen: Die Rose duftete süß und trug feuerrote Blüten, die Lilie schimmerte wie das reine Weiß des Mondlichts, und der Mohn leuchtete in strahlendem Rot, wie das Feuer im Herzen eines Ofens. Doch die kleine namenlose Blume wusste nicht, wer sie war oder was sie auszeichnete.
Eines Tages vernahm sie das Murmeln des Windes, der durch die Blätter des Waldes strich, und beschloss, den großen, alten Eichenbaum um Rat zu bitten. Der Eiche war der weiseste Baum des Waldes und hatte viele Geheimnisse der Natur miterlebt. Also machte sich die kleine Blume auf den Weg zu ihm.
Als sie die Eiche erreichte, neigte sie ihre Blätter ehrfürchtig und sprach: „Große Eiche, du kennst die Geheimnisse des Lebens. Kannst du mir sagen, wer ich bin und wie ich einen Namen finde?“
Die Eiche brummte leise und betrachtete die kleine Blume mit gütigen, uralten Augen. „Du bist noch jung, kleine Blume,“ sprach sie mit tiefer Stimme, „aber deine Bestimmung wird sich bald offenbaren. Wenn du den Himmel verstehst, wirst du deinen Namen finden.“
Verwirrt, aber entschlossen, machte sich die Blume auf, den Himmel zu beobachten. Jeden Tag hob sie ihr Gesicht zum blauen Himmel empor und beobachtete die Sonne, wie sie aufging und am Abend hinter den Bergen verschwand. Sie spürte die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihren Blättern und begann, sich jeden Tag ein Stückchen mehr der Sonne zuzuwenden.
Wo immer die Sonne hinzog, neigte die kleine Blume ihre Blätter und Stängel in dieselbe Richtung, als wollte sie ihr folgen. Bald bemerkte sie, dass ihre Blütenblätter nicht länger blass und unscheinbar waren. Mit jedem Sonnenstrahl, den sie einfing, wuchsen sie größer und strahlender, bis sie eines Tages in einem prächtigen Goldgelb erblühten, das die umliegenden Wiesen mit hellem Glanz erfüllte.
Die Tiere und Pflanzen auf der Wiese bestaunten ihre Schönheit, doch niemand war erstaunter als die kleine Blume selbst. Sie fühlte sich der Sonne so nahe, dass sie kaum den Augenblick erwarten konnte, wenn sie am Morgen wieder über den Horizont steigen würde.
Eines Tages kam der Wind, der den ganzen Wald und die Wiesen durchzog, zu der Blume und flüsterte: „Du hast deinen Namen gefunden, kleine Blume, die immer der Sonne folgt. Du bist die Sonnenblume.“
Die Blume, nun erfüllt von einem tiefen Glück, wusste, dass der Wind recht hatte. Von diesem Tag an nannte man sie die Sonnenblume, denn sie wuchs hoch und stolz und drehte sich immer zur Sonne, als wollte sie nie von ihr getrennt sein.
Und so bekam die Sonnenblume ihren Namen – durch ihre Liebe zur Sonne und die Gabe, ihr überallhin zu folgen. Bis heute streckt sie ihre goldenen Blüten dem Himmel entgegen und erinnert uns daran, dass wahre Schönheit im Licht der Liebe und des Lebens erblüht.


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